Monogene Formen der Adipositas | Leptin und Leptinrezeptor

Bei den meisten Patienten führen Adipositas-fördernde Lebensbedingungen oder polygenetische Defekte (mehrere Gene sind betroffen) zu Adipositas. Monogene Formen, bei denen Defekte (Mutationen) in einem einzigen Gen ursächlich für Adipositas sind, sind sehr selten.

Ärzte und Wissenschaftler unserer Arbeitsgruppe kombinieren klinische und grundlagen-wissenschaftliche Forschung zur Charakterisierung bekannter Mutationen und Identifikation weiterer noch unbekannter Mutationen, die zu genetisch bedingter frühkindlichen Adipositas führen. Hierfür ist die Weiterentwicklung molekularer Diagnostikverfahren sehr wichtig. Die Diagnose einer genetischen Ursache der Adipositas hilft die Krankheitslast für die betroffene Familie zu verringern. Sie hilft weiterhin das Erkrankungsrisiko bei weiteren Familienmitgliedern zu verstehen und ermöglicht in seltenen Fällen eine kausale Therapie oder zumindest eine optimierte Behandlung.

Das Fettgewebe ist nicht nur ein großer Energiespeicher in unserem Körper, sondern auch ein endokrines Organ, das Hormone (Adipokine) bildet und ausschüttet. Das HormonLeptin spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation des Körpergewichtes, indem es die Nahrungsaufnahme vermindert und den Energieverbrauch steigert. Neben der Körpergewichtsregulation hat Leptin weitere Funktionen bei der Pubertätsentwicklung, der Reproduktion und bei der Immunabwehr.

Veränderungen in der genetischen Information des Leptin-Gens (Mutationen) können zum Ausbleiben der Bildung von Leptin (Leptinmangel) oder zur Bildung eines gestörten Hormons (biologisch inaktives Leptin) führen. Im gesunden Menschen führt eine Zunahme des Fettgewebes zu einer vermehrten Bildung und Ausschüttung von Leptin, was zu einer verminderten Nahrungsaufnahme und somit zu einer Gewichtsreduktion führt. Bei Menschen mit einem genetischen Defekt ist dieser Regelungsmechanismus nicht mehr gegeben und es kommt zu einer andauernden Gewichtszunahme bis hin zu extremer Adipositas.

Bestimmte Mutationen im Leptin-Gen führen dazu, dass das Hormon nicht produziert und/oder nicht ausgeschüttet wird. Hierbei spricht man von einem Leptinmangel, das Hormon ist im Blut nicht nachweisbar.

Unsere Arbeitsgruppe hat erstmalig Patienten mit biologisch inaktivem Leptin identifiziert (Publikation NEJM und JCEM). Anders als beim Leptinmangel wird das Hormon produziert und ist im Blut in normalen oder erhöhten Konzentrationen nachweisbar. Jedoch ist das produzierte Leptin durch eine Mutation so verändert, dass es nicht mehr an seinen Zielort, den Leptinrezeptor, binden und diesen aktiveren kann, also biologisch bioinaktiv ist. Durch einen neu entwickelten Test, der biologisch inaktives Leptin detektiert, konnten weitere Patienten mit dieser Diagnose identifiziert werden. Die Bestimmung der Leptin-Bioaktivität kann in unserem Endokrinologischen Labor erfolgen.

Patienten mit Leptinmangel, biologisch inaktivem Leptin oder Leptinrezeptor-Defekt weisen die gleiche Symptomatik auf mit einer extreme Adipositas bereits im frühen Kindesalter begleitet von einem unstillbaren Hungergefühl (Hyperphagie). Die rapide Gewichtszunahme tritt bereits im ersten Lebensjahr auf, die bis zum2. Geburtstag in einem Body-Mass-Index (BMI) >25 kg/m2 und in einem BMI >30 kg/m2 bis zum5. Geburtstag resultiert. Zusätzlich leiden die Betroffenen an Störungen der Pubertätsentwicklung und des Immunsytems.

Für Patienten, die einen Leptinmangel oder biologisch inaktives Leptin aufweisen, gibt es die Möglichkeit einer Leptin-Ersatztherapie unter Verwendung eines rekombinanten humanen Leptin-Analogons (Metreleptin). Das Medikament wird täglich subkutan verabreicht und führt zu einer Normalisierung des Hungergefühls und damit zu einer rapiden Gewichtsabnahme, weiterhin zu einer Verbesserung der metabolischen Veränderungen und zum normalen Voranschreiten der Pubertät. Unser Zentrum für Seltene Endokrine Erkrankungen ist eines von wenigen spezialisierten Zentren weltweit, das die Leptin-Ersatztherapie erfolgreich durchführt.

Unsere Arbeitsgruppe untersucht unter anderem die biologischen Funktionen von Leptin. Beispielsweise werden bisher beschriebene Mutationen im menschlichen Leptin-Gen funktionell standardisiert charakterisiert und der Einfluss einer Mutation auf die Sekretion oder Aktivität von Leptin untersucht.

Das von den Fettzellen produzierte und ausgeschüttete Leptin gelangt über die Blutbahn ins Gehirn, wo es spezifisch an Leptinrezeptoren bindet. Durch Bindung und Aktivierung des Leptinrezeptors vermittelt Leptin seine spezifische Wirkung im Körper. Ist der Leptinrezeptor durch Mutationen verändert, so kann das Leptin nicht mehr binden und die Wirkung bleibt aus. Die Symptomatik von Patienten mit defektem Leptinrezeptor ist der von Patienten mit Leptinmangel sehr ähnlich mit vergleichbarem frühkindlichen Gewichtsverlauf und ausgeprägter Hyperphagie.

Eine neue Therapiemöglichkeit bei Patienten mit bestimmten Leptinrezeptor-Mutationen unter Verwendung des Wirkstoffs Setmelanotide, ein Melanocortin-4-Rezeptor (MC4R) Agonist, befindet sich derzeit in der Klinischen Prüfung Phase III (siehe Homepage des Studiensponsors https://www.rhythmtx.com/). Unsere Sektion ist eines von vier europäischen Prüfzentren, das an der Klinischen Prüfung von Setmelanotide in Patienten mit einem Leptinrezeptor-Defekt beteiligt ist. Bisherige Ergebnisse zeigen, dass die tägliche Verabreichung von Setmelanotide zu einer raschen und starken Reduktion des Hungergefühls und des Körpergewichts führt.

Weitere Informationen zur Klinischen Studie mit Setmelanotide finden Sie hier.