Ziele/ Themen

Arbeiten im Gesundheitswesen: Belastungen und mentale Gesundheit

Im Zuge des demographischen Wandels und der damit verbundenen zunehmenden Arbeitsverdichtung im Gesundheitswesen leiden Gesundheitsfachleute häufig an arbeits- bzw. berufsbedingtem Stress. Die Gründe dafür liegen lt. Studienlage an langen, oft ungeregelten Arbeitszeiten, Schichtdiensten, Zeitdruck, einer hohen Erwartungshaltung durch den Arbeitgeber und Patienten bei gleichzeitiger mangelnder sozialen Unterstützung und damit einer häufig geringen Arbeitszufriedenheit. Gerade sogenannte Gratifikationskrisen, die Imbalance zwischen den Arbeitsanforderungen bzw. dem persönlichen Arbeitseinsatz und dem Arbeitsertrag in Form von Arbeitsentgelt, Anerkennung durch Vorgesetzte, Kollegen und Patienten, werden als belastend erlebt (Effort-Reward-Imbalance, Siegrist 2004).

Diese Arbeitsbedingungen und berufsbedingten Belastungsfaktoren führen nicht selten zu einer abnehmenden Leistungsfähigkeit und spielen bei der Entstehung von Burnout, und unterschiedlicher physischer und psychischer Erkrankungen, wie Angststörungen und Depressionen eine große Rolle. Ärzt_Innen weisen bspw. erhöhte Prävalenzen unterschiedlicher psychischer Störungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung auf. Zudem gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass eine hohe psychosoziale Arbeitsbelastung und gesundheitliche Einschränkungen des medizinischen Personals einen wesentlichen Einfluss auf die Qualität der Patientenversorgung haben.

Durch spezielle Arbeitszeitmodelle, wie die in Kliniken überwiegend verbreiteten Schicht-dienstarbeiten, sind Beschäftigte im Medizinsektor häufig einem Interrollenkonflikt ausgesetzt. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie birgt vor allem durch die begrenzten Zeit- und Energiereserven bei der Ausübung der unterschiedlichen Verpflichtungen ein hohes Konfliktpotenzial. Die Wirkungsweise dieses sogenannten Vereinbarkeitskonfliktes kann dabei bidirektional auftreten. Nicht zuletzt sind die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Arbeitszufriedenheit und -belastung, Patientensicherheit wichtige Faktoren für zufriedene Mitarbeiter, die langfristig einer Klinik erhalten bleiben. Ein weiterer wesentlicher Aspekt sind auch mögliche unterschiedliche Belastungen und resultierende Folgen bei Männern und Frauen im medizinisch/therapeutischen Berufsfeld. Eventuelle Unterschiede müssen bei Überlegungen zu individualisierten ärztespezifischen verhaltens- und verhältnispräventiven Maßnahmen und therapeutischen Hilfsangeboten miteinbezogen werden.

Neben den beschriebenen „extrinsischen“ Belastungsfaktoren im beruflichen und privaten Bereich spielen aber auch „intrinsische“ Belastungsfaktoren eine Rolle hinsichtlich Resilienz und mentaler Gesundheit. Eine hohe Verausgabungsneigung (Overcommitment), aber auch sogenannte frühe maladaptive Schemata können als Marker für intrinsische Belastungen dienen. Ein Schema umfasst dauerhafte, ungünstige Muster von Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen, die das Verhalten in einer konkreten Situation steuern. Die Schemata können sich auf den Betroffenen selbst oder auf seine Beziehungen zu anderen Menschen beziehen. Sie wirken sich ungünstig auf das Leben des Betroffenen aus (Young. 1999)

Das Ziel unserer Arbeitsgruppe ist es, bei Berufstätigen im Gesundheitswesen „extrinsische“ sowie „intrinsische“ Belastungsfaktoren zu identifizieren und mögliche Unterschiede zwischen den Berufsgruppen harauszuarbeiten. Darüber hinaus soll untersucht werden, welchen Einfluss extrinsische und intrinsische Belastungsfaktoren auf das Stresserleben und die mentale Gesundheit haben.

Projekte

egePan
Entwicklung, Testung und Implementierung von regional adaptiven Versorgungsstrukturen und Prozessen für ein evidenzgeleitetes Pandemiemanagement koordiniert durch die Universitätsmedizin"
Projektbeschreibung

Das Netzwerk „egePan“ baut ein nationales Pandemiemanagement auf, um COVID-19-Patientinnen und Patienten zukünftig noch schneller und besser zu erkennen und behandeln zu können, Ansteckungen zur vermeiden und auf zukünftige Pandemien vorbereitet zu sein. Dabei soll das lokale Ausbruchsgeschehen beobachtet und im Kontext der deutschen und europäischen Gesamtsituation bewertet werden. Über das Netzwerk werden Maßnahmenpläne, Diagnostik-und Behandlungsstrategien der Universitätsklinika zusammengeführt und ausgewertet, Konzepte entwickelt und evaluiert.

Übergeordnete Ziele sind dabei die adäquate Ressourcensteuerung innerhalb der Regionen sowie die Handlungsfähigkeit des Gesundheitssystems bei steigenden infektionszahlen und wachsenden Zahlen von hospitalisierungspflichtigen Patient*Innen zu sichern. Der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und der körperlichen und psychischen Gesundheit des medizinischen Personales stellt  eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Bewältigung der Covid-19-Pandemie sowie möglicher zukünftiger Pandemien dar. Daher hat das EVIPan-Projekt das Ziel, die Gesundheit der medizinisch Beschäftigten während der Pandemie zu sichern. Das Teilprojekt VOICE, eine Kooperation der Uniklinika Ulm, Erlangen, Bonn, Köln und Dresden hat aktuell die vierte webbasierte Befragungswelle zu psychischer Belastung, Arbeitsstress, Gesundheit und persönlichen Ressourcen  von medizinischem Personal abgeschlossen.

Projektleitung Standort Ulm

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Prof. Dr. med. Petra Beschoner

Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie | Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie | Leiterin Verhaltenstherapeutische Behandlungsgruppe

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Prof. Dr. Lucia Jerg-Bretzke

Publikationen

Beschoner P., Sosic-Vasic Z., Jerg-Bretzke L. (2020). Heimweh - eine systematische Übersicht zu Prävalenz und Folgen eines Phänomens von aktueller Relevanz. Psychiatrische Praxis Psychiatrische Praxis 2020; 47(07): 352-360. [DOI: 10.1055/a-1182-2433]

Beschoner, P., von Wietersheim, J., Jarczok, M. N., Braun, M., Schönfeldt-Lecuona, C., Jerg-Bretzke, L., & Steiner, L. (2020). Changes in Working Conditions and Mental Health Among Intensive Care Physicians Across a Decade. Frontiers in Psychiatry, 11, 145.[PubMed] [DOI: 10.1007/s00115-019-0739-x]

Jerg-Bretzke, L., Karremann, M., Beschoner, P., de Gregorio, N., Janni, W., Ebner, F., Rottler E., Walter S., de Gregorio, A. (2020). „Zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Beschäftigten einer Universitätsfrauenklinik “–Auswertung einer systematischen Berufsgruppen-übergreifenden Befragung. Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie. [PubMed] [DOI: 10.1055/a-1200-3070]

Jerg-Bretzke, L., Limbrecht-Ecklundt, K., Walter, S., Spohrs, J., Beschoner, P. (2020). Correlations of the “Work–Family Conflict” With Occupational Stress—A Cross-Sectional Study Among University Employees. Frontiers in Psychiatry, 11, 134. [PubMed] [DOI: 10.3389/fpsyt.2020.00134]

Kilian R, Müller-Stierlin A, Söhner F, Beschoner P., Gündel H., Staiger T, Stiawa M, Becker T, Frasch K, Panzhirsch M, Schmauß M, Krumm S (2020). Masculinity norms and occupationale role in men treated for depression. PLoS ONE 15(5): e0233764. [PubMed] [DOI: 10.1371/journal.pone.0233764]

Viviani, R., Dommes, L., Bosch, J., Steffens, M., Paul, A., Schneider, K. L., Stingl JC, Beschoner, P. (2020). Signals of anticipation of reward and of mean reward rates in the human brain. Scientific Reports, 10(1), 1-16. [PubMed] [DOI: 10.1038/s41598-020-61257-y]

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Prof. Dr. med. Petra Beschoner

Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie | Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie | Leiterin Verhaltenstherapeutische Behandlungsgruppe

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