Adipositas besser verstehen: Neue Erkenntnisse schließen diagnostische Lücke

Wichtiger Beitrag für die Diagnostik – Erstmals gibt es belastbare Referenzwerte für das Hormon Leptin im Kindes- Jugend- und Erwachsenenalter

Ein vom Universitätsklinikum Ulm (UKU) geleitetes Projekt des Deutschen Zentrums für Kinder- und Jugendgesundheit (DZKJ) hat einen wichtigen Durchbruch in der Adipositas-Forschung erzielt: Zum ersten Mal stehen spezifische Referenzwerte für das Hormon Leptin im Serum zur Verfügung. Diese erlauben eine präzise Bewertung von Leptinspiegeln bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Normalgewicht, Übergewicht oder Adipositas und schaffen erstmals eine verlässliche Basis, um die Rolle von Leptin bei Adipositas zu untersuchen.

Leptin ist ein zentrales Hormon bei der Regulation von Hunger und Sättigung. Es wird hauptsächlich im Fettgewebe gebildet und signalisiert dem Gehirn, insbesondere dem Hypothalamus, den Energiezustand des Körpers. Ein zu niedriger Leptinspiegel zeigt an, dass zu wenig Energiereserven vorhanden sind, was zu einer Steigerung des Hungergefühls führt und die willentliche Kontrolle der Nahrungszufuhr einschränkt.

Besonders bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Adipositas ist dieser Regelmechanismus von großer Bedeutung. „Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die unter anderem durch Veränderungen des Hunger- und Sättigungssystems verursacht wird“, erklärt Prof. Dr. med. Martin Wabitsch, Leiter der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Ulm.

In spezialisierten Ambulanzen, wie der Spezialambulanz für Kinder und Jugendliche mit Adipositas am Universitätsklinikum Ulm, wird die Leptinkonzentration im Blut bestimmt. „Liegt kein nachweisbarer Leptinwert vor, muss eine genetische Ursache der Adipositas wie ein angeborener Leptinmangel ausgeschlossen werden. Aber wie sind gemessene Leptinkonzentrationen bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas zu bewerten?“, so Wabitsch.

„Um im Serum gemessene Leptinwerte richtig einordnen zu können, brauchen wir Referenzwerte, die alle Altersgruppen und den gesamten BMI-Bereich abdecken – von Normalgewicht bis hin zu Adipositas“, erklärt er. „Bisher fehlten solche umfassenden Referenzwerte. In der klinischen Praxis wurden meist Normwerte verwendet, die nur auf Personen mit Normalgewicht basieren“, ergänzt Dr. Stephanie Brandt-Heunemann, die Erstautorin der Arbeit.

Diese diagnostische Lücke wurde nun im Rahmen einer Forschungskooperation unter der Leitung von Dr. Brandt-Heunemann (Ulm), Dr. Mandy Vogel (Leipzig) und Prof. Wabitsch (Ulm) am Deutschen Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit (DZKJ) geschlossen. Gemeinsam mit mehreren Forschergruppen aus Deutschland sowie Kooperationspartnern in den Niederlanden und Dänemark konnten Daten von mehr als 12.500 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im Alter von 0 bis 75 Jahren mit Normal-, Übergewicht und Adipositas zusammengeführt werden.

Auf dieser Grundlage wurden erstmals geschlechts-, alters-, pubertäts- und BMI-spezifische Referenzwerte für Leptin im Serum ermittelt. Diese neuen Referenzwerte ermöglichen eine klinische Bewertung des Leptinspiegels bei Menschen mit Normalgewicht, Übergewicht und Adipositas – und das über die gesamte Lebensspanne hinweg. Mit dieser Grundlage lassen sich nun offene Fragen klären, etwa welche Rolle Leptin bei Adipositas spielt und ob es Menschen mit relativem  Leptinmangel oder einer Leptinresistenz gibt. Dies hätte therapeutische Konsequenzen.

Diese Arbeit leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zur individualisierten Diagnostik und Forschung, sondern fördert auch die kontinuierliche Begleitung eines Kindes, eines Jugendlichen beim Übergang in die Erwachsenenmedizin. Ein zentrales Anliegen des Deutschen Zentrums für Kinder- und Jugendgesundheit (DZKJ), das genau solche translationalen Brücken schaffen möchte, um die Gesundheitsversorgung über alle Lebensphasen hinweg nachhaltig und ganzheitlich zu verbessern.

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Kontakt für Rückfragen:

Prof. Dr. med. Martin Wabitsch
Leiter der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Universitätsklinikum Ulm
Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit (DZKJ), Standort Ulm
martin.wabitsch@uniklinik-ulm.de
0731/50057401

Dr. Stephanie Brandt-Heunemann

Dr. Stephanie Brandt-Heunemann vom Universitätsklinikum Ulm ist Erstautorin der Arbeit. (Foto: Universitätsklinikum Ulm)