Wenn Silvester das Trommelfell platzt

Interview mit den Fachärztinnen Dr. Ricarda Riepl, Dr. Marlene Wigand und Dr. Eva Goldberg-Bockhorn der Klinik für Hals-, Nasen- Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie des Universitätsklinikums Ulm, zu Hör- und Gesichtsverletzungen an Silvester, die richtige Erste Hilfe und die medizinische Versorgung in der Klinik.

Kommen rund um Silvester deutlich mehr Patient*innen in die HNO-Klinik? Können Sie Zahlen dazu nennen?

An Feiertagen ist in der HNO-Klinik generell mit einem erhöhten Patientenaufkommen zu rechnen. Das liegt insbesondere daran, dass viele Arztpraxen um die Feiertage herum geschlossen haben und unsere Klinik neben den organisierten Notfallpraxen eine erste Anlaufstelle für akute Probleme im Kopf-Hals-Bereich darstellt. Man kann nicht pauschal sagen, dass sich an Silvester und Neujahr mehr Personen einfinden als beispielsweise an Weihnachten, Pfingsten oder Ostern. In der HNO-Klinik tragen wir diesem höheren Patientenaufkommen bereits seit längerer Zeit Rechnung, indem zu den Stoßzeiten zwei diensthabende ärztliche Kolleg*innen für die Notfallversorgung zur Verfügung stehen.

Mit welchen Verletzungen oder Beschwerden kommen Patient*innen rund um Silvester häufig in die HNO-Klinik?

Die Patient*innen, die sich zum Jahreswechsel in der HNO-Klinik vorstellen, leiden zum Teil an den „klassischen“ HNO-Krankheiten, die man in den Wintermonaten gehäuft sieht: Nasenbluten, Halsschmerzen, Nasennebenhöhlen- oder Mittelohrentzündungen. Gerade in der Silvesternacht suchen uns vermehrt auch Patient*innen auf, die in Tätlichkeitsdelikte im Rahmen der Silvesterfeierlichkeiten verwickelt waren, und sich zum Beispiel eine Nasen- oder Mittelgesichtsfraktur zugezogen haben. Dazu kommen dann noch Patienten mit Hörsturz, Knalltrauma oder Tinnitus sowie Brand- und Explosionsverletzungen im Kopfbereich, welche durch Raketen oder Böller während des Silvesterfeuerwerks verursacht werden können.

Wie äußert sich eine solche Silvester-Verletzung, z.B. ein Knalltrauma? Wann sollte ich die Klinik aufsuchen?

Neben offensichtlich erkennbaren äußeren Verletzungen des Gesichtes oder der Ohrmuscheln durch direkten Kontakt mit Sprengkörpern kann es natürlich durch die Geräuschentwicklung zu akustischen Traumen kommen. Die Patient*innen leiden dann an einem Ohrgeräusch (Tinnitus) und/oder hören schlechter. Häufig berichten die Betroffenen davon, dass sie „wie durch Watte hören“, an einem Völlegefühl im Ohr leiden oder sie reagieren auf Ansprache durch andere Personen verzögert bzw. verstehen nicht richtig, was gesprochen wird. Bei einer sehr starken Lautstärkeentwicklung kann es sogar zu Trommelfellzerreißungen kommen. Glücklicherweise weiß sich das menschliche Ohr in vielen Fällen selbst zu helfen: Ein Ohrgeräusch kennt wohl jeder, der schon einmal während eines Konzert- oder Diskobesuches über einen längeren Zeitraum lärmexponiert war. Glücklicherweise verschwindet das nervige Geräusch auch in den meisten Fällen wieder ganz von alleine. Wenn es jedoch auch nach mehreren Stunden oder Tagen nicht zu einer Besserung kommt, sollte ein HNO-Arzt aufgesucht werden. Dieser kann dann eine Ohrmikroskopie und (im Notdienst allerdings nur orientierende) Hörprüfung durchführen und mit dem Betroffenen mögliche Therapieoptionen besprechen.

Gibt es erste Hilfe-Maßnahmen, die man anwenden kann?

Offene Wunden und Verletzungen im Gesichts- und Ohrbereich sollten mit sterilen Verbandsmaterialien abgedeckt und vor Verschmutzung geschützt werden. Wenn das Trommelfell fraglich zerrissen ist, sollte man das Ohr vor Wassereintritt schützen. Liegt ein anhaltendes plötzliches Ohrgeräusch oder eine akute Hörminderung vor, muss man nicht in Panik verfallen. Viel trinken und das Meiden von Lärm sind geeignete erste Maßnahmen. Man darf nicht vergessen, dass Hörsturz und Tinnitus zwar Eilfälle, aber sicher keine Notfälle sind. Es ist durchaus auch möglich und medizinisch unbedenklich, dem Körper für einige Stunden oder sogar 1-2 Tage Ruhe zu gönnen und abzuwarten, wie sich die Symptome entwickeln.

Wie sieht die Behandlung einer solchen Silvester-Verletzung, z.B. eines Knalltraumas aus? Welche Folgen kann das haben?

Ein gerissenes Trommelfell kann der HNO-Arzt ganz einfach im Untersuchungsstuhl in örtlicher Betäubung schienen. Dabei wird eine speziell zurechtgeschnittene Kunststoff-Folie auf das Trommelfell gelegt und der Gehörgang mit einer Tamponade geschützt. In vielen Fällen verschließt sich die Perforation innerhalb weniger Tage selbst. Bei Hörsturz oder Tinnitus können Cortisontabletten verordnet und mit viel Flüssigkeit über mehrere Tage eingenommen werden. In aller Regel werden diese Erkrankungen ambulant therapiert. Eine stationäre Therapie mit Infusionen hat man heute zunehmend verlassen. Sie ist selten wirklich sinnvoll und medizinisch indiziert. Glücklicherweise behalten die wenigsten Patienten dauerhafte Schäden, wie eine bleibende Innenohrschwerhörigkeit oder ein chronisches Ohrgeräusch, zurück.

Was kann ich tun, um meine Ohren an Silvester zu schützen?

Der beste Schutz vor akuten Lärmschäden ist es, einen Gehörschutz z.B. in Form der industriell hergestellten Ohrstöpsel oder einen Kapselgehörschutz („Mickey Mouse“) zu verwenden, sobald man sich lautem Lärm aussetzt. Dies gilt nicht nur für Menschen mit vorgeschädigtem oder empfindlichem Gehör, sondern sollte als generelle Empfehlung für jeden Menschen gelten. Ohrstöpsel aus Wachs oder Kunststoff sind zu geringen Preisen z.B. in Drogeriemärkten oder Apotheken frei verkäuflich erhältlich. Feuerwerkskörper sollten nur gemäß der jeweiligen Anleitung und Sicherheitshinweise bedient und aus einem ausreichenden Sicherheitsabstand betrachtet werden. Natürlich sollten auch Experimente mit illegalen Böllern und selbstgebasteltem Feuerwerk unbedingt unterlassen werden. Wer große Menschenaufläufe während des Feuerwerks meiden kann, sollte dies tun, um keinem „Querläufer“ zu begegnen. Auch u.a. aus diesem Grund werden Innenstädte zunehmend zur „feuerwerksfreien Zone“ erklärt. Mit den entsprechenden Vorkehrungen steht dann einem gelungenen Silvesterabend ohne drohende Ohrschädigungen nichts mehr im Wege.

 

Dr. Ricarda Riepl, Dr. Eva Goldberg-Bockhorn und Dr. Marlene Wigand (v.r.) der Klinik für Hals-, Nasen- Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie des Universitätsklinikums Ulm.