Zusammenhang zwischen Hormonspirale und psychischen Symptomen

Internationales Forscherteam veröffentlicht Übersichtsarbeit

Hormonfreisetzende Spiralen, in der medizinischen Sprache als „hormonfreisetzende Intrauterinpessare“ (kurz Levonorgestrel/LNG-IUPs) bekannt, gelten als sehr wirksame, reversible Verhütungsmethoden und werden weltweit von Frauen im gebärfähigen Alter genutzt. Daneben werden sie auch zur Linderung starker und schmerzhafter Monatsblutungen verwendet. Es gibt allerdings zunehmend Hinweise auf psychische Nebenwirkungen – wie depressive Symptome, Angstzustände und Suizidgedanken – unter Verwendung dieser hormonfreisetzenden Spiralen. Unter der Leitung von Prof. Dr. Carlos Schönfeldt-Lecuona und Dr. Mohamed Elsayed von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III des Universitätsklinikums Ulm (UKU) hat ein internationales Forscherteam im Rahmen einer Übersichtsarbeit eine systematische Literaturrecherche zur weiteren Abklärung dieser Zusammenhänge erstellt. Diese wurde nun in der Fachzeitschrift The World Journal of Biological Psychiatry veröffentlicht.

Das Forschungsteam hat dafür sechs medizinische Datenbanken – darunter PubMed, MEDLINE, Web of Science und Scopus – durchsucht und analysiert. Zunächst wurden dort die Studien identifiziert, die Informationen zu hormonellen Verhütungsmitteln und möglichen psychischen Symptomen in Zusammenhang bringen. 22 Studien beinhalteten demnach relevante Informationen und wurden genauer analysiert. In dreiviertel dieser untersuchten Forschungsarbeiten fanden sich Hinweise, die auf den möglichen Zusammenhang zwischen dem Tragen einer LNG-IUP und dem Erleiden psychischer Symptome hindeuten. Zehn der Studien zeigten einen Zusammenhang mit der Entwicklung depressiver Symptome, darüber hinaus deutete eine Abhandlung auf eine erhöhte Angstsymptomatik im Zusammenhang mit dem Tragen einer LNG-IUP hin. Eine weitere Studie berichtete über ein erhöhtes Suizidrisiko. Vier Studien kamen zu dem Schluss, dass ein direkter Zusammenhang mit depressiven Symptomen unsicher ist, erwähnten jedoch andere psychiatrische Symptome, welche die Lebensqualität der IUP-Trägerinnen verschlechterten. Weitere vier Abhandlungen fanden keinen Zusammen-hang zwischen dem Tragen einer LNG-IUP und dem Erleiden psychischer Symptome. Zwei Studien präsentierten eine Steigerung des Wohlbefindens unter der LNG-IUP.

„Trotz der heterogenen Datenlage berichten viele Studien über psychische Symptome im Zusammenhang mit LNG-IUPs, hauptsächlich depressive Symptome aber auch Suizidalität“, sagt Dr. Mohamed Elsayed, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III und Erstautor der Studie. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Tragen einer hormonfreisetzenden Spirale und dem Auftreten psychischer Symptome ist bisher noch nicht vollständig geklärt.

Möglicherweise gehen die erwähnten Symptome jedoch auf die Sensibilisierung zentraler Strukturen im Gehirn zurück, die die Stressachse (Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinden-Achse) auf der Gehirnebene regulieren. Dass die erwähnten Spiralen nicht nur eine lokale, sondern auch eine systemische Wirkung auf andere Organe und auch auf das Gehirn selbst haben, ist seit wenigen Jahren bekannt. Unklar bleibt bis jetzt, wie häufig und bei welchen Trägerinnen diese Nebenwirkungen auftreten.
Aus der psychiatrischen Perspektive impliziert die aktuelle Studie, dass sich Gynäkolog*innen, Allgemeinmediziner*innen und auch Psychiater*innen diesen potenziellen Risiken, insbesondere depressive Symptome und Suizidalität, bewusst sein müssen. „ Darüber hinaus sollten im Vorfeld eine angemessene psychiatrische Anamnese und Exploration bezüglich aktueller oder in der Vergangenheit erlittener psychiatrischer Erkrankungen durchgeführt werden. Weitere Studien mit großen Kohorten sollten das mögliche Risiko für psychische Störungen, in Abhängigkeit der persönlichen Vulnerabilität, im Zusammenhang mit LNG freisetzende Spiralen und auch anderen hormonellen Kontrazeptiva untersuchen“, erläutert Professor Dr. Carlos Schönfeldt-Lecuona, stellvertretender leitender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III, der als Seniorautor an der Studie beteiligt war. „Anhand unserer Studie ist es jedoch nicht möglich, festzustellen, wie häufig diese Nebenwirkungen in der Realität auftreten. Überdies ist auch die Erstellung eines Vulnerabilitätsprofils nicht möglich. Ferner erlaubt unsere Studie keine Kausalitätsäußerungen“, fügt Dr. Mohamed Elsayed hinzu. „Die Ergebnisse unserer Arbeit haben jedoch einige wichtige Implikationen, wie z.B. die Bedeutung einer besseren Kommunikation zwischen Ärzt*innen und Patientinnen über mögliche unerwünschte Nebenwirkungen, einschließlich Depressionen. Dies könnte dazu beitragen, die Angst von Frauen vor der Verwendung von LNG freisetzenden IUPs zu verringern.“
Das internationale Autorenteam der Studie betont, wie wichtig es ist, Patientinnen ausreichend über sämtliche Risiken in Zusammenhang mit den IUPs zu informieren, um gemeinsame fundierte Entscheidungen zu treffen und so zuverlässiger als bisher unvorhergesehene Nebenwirkungen nach dem Einsetzen zu vermeiden. Weiterhin ist eine tiefergehende Erforschung mit randomisierten kontrollierten Studien erforderlich, um eine genauere Bewertung der Auswirkungen von LNG freisetzende IUPs auf die psychische Gesundheit von Frauen zu ermöglichen, so die Forschenden.


Beteiligt an der Untersuchung waren Kliniken und Forschungseinrichtungen aus Deutschland, Ägypten, St. Vincent & Grenadine, Großbritannien und den USA.

Publikationsnachweis:
The potential association between psychiatric symptoms and the use of levonorgestrel intrauterine devices (LNG-IUDs): A systematic review. Mohamed Elsayed, Khaled T. Dardeer, Nimrat Khehra, Inderbir Padda, Heiko Graf, Amr Soliman, Abdelrahman M. Makram, René Zeiss, Carlos Schönfeldt-Lecuona. The World Journal of Biological Psychiatry.

Link zur Studie:www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/15622975.2022.2145354

Dr. Mohamed Elsayed und Prof. Dr. Carlos Schönfeldt-Lecuona der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III des Universitätsklinikums Ulm

Dr. Mohamed Elsayed und Prof. Dr. Carlos Schönfeldt-Lecuona der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III des Universitätsklinikums Ulm