Keimzelltumor des Mannes

Hodenkarzinom

ExpertenInnen

- urologisch

  • Profilbild von Prof. Dr. med. Friedemann Zengerling, MHBA, FEBU

    Prof. Dr. med. Friedemann Zengerling, MHBA, FEBU

    Oberarzt, Leitung konservative Uro-Onkologie, Leitung Urologische Studienzentrale

- internistisch

- radioonkologisch

  • Profilbild von Prof. Dr. med. Thomas Wiegel

    Prof. Dr. med. Thomas Wiegel

    Ärztlicher Direktor der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie

Beschreibung der Erkrankung

Keimzelltumoren bei Männern treten in >95% der Fälle im Hoden auf und werden dann als Hodentumoren, Hodenkarzinome oder einfach nur Hodenkrebs bezeichnet.

Häufigkeit und Erkrankungsalter

In Deutschland erkranken jährlich knapp 4000 Männer neu an Hodenkrebs - mit steigender Tendenz. Dies entspricht ca. 1-2% aller Krebserkrankungen bei Männern. Der Hodentumor ist eine Tumorerkrankung, die vor allem junge Männer zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr betrifft und dort der am häufigsten vorkommende Tumor ist.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen für die Entstehung von Hodenkrebs sind nicht vollständig geklärt. Es ist jedoch bekannt, dass Männer mit Hodenhochstand, vor allem wenn dieser erst nach Eintreten der Pubertät korrigiert wurde, ein erhöhtes Risiko haben an Hodenkrebs zu erkranken. Auch eine familiäre Häufung sowie eine Assoziation mit genetischen Erkrankungen konnte beobachtet werden.

Krankheitszeichen

Wenn bei Ihnen folgende Beschwerden auftreten, sollten Sie zur Abklärung der Ursache dringend einen Arzt aufsuchen:

  • knotige Veränderung am Hoden auch ohne Schmerzen
  • Vergrößerung des Hodens auch ohne Schmerzen
  • ziehende Hodenschmerzen
  • Schmerzen in der Leistengegend
  • Schweregefühl des Hodens
  • ein- oder beidseitiges Brustwachstum

Hodenkrebs kann zwar theoretisch in jedem Stadium der Erkrankung geheilt werden, doch je früher der Krebs entdeckt wird, umso höher sind die Heilungschancen und desto einfacher ist die Therapie und umso weniger Nebenwirkungen treten auf.

Untersuchungen

Falls bei Ihnen der Verdacht auf einen Hodentumor besteht, sind verschiedene Untersuchungsverfahren nötig, um eine genaue Diagnose stellen zu können. Dazu gehört z. B. die körperliche Untersuchung, Laboruntersuchungen, die Ultraschalluntersuchung und ggf. die Computertomographie (CT). Gegebenenfalls müssen auch noch weitere Untersuchungen wie Kernspintomographie (MRT) oder Skelettszintigraphie eingesetzt werden

Anamnese und körperliche Untersuchung
Bei einem ausführlichen Gespräch schildern Sie dem Arzt alle Ihre Beschwerden und Vorerkrankungen (auch familiäre Erbkrankheiten). Anschließend wird eine gründliche körperliche Untersuchung an Ihnen vorgenommen. Im Blut wird nach bestimmten Tumormarkern gesucht.

Sonographie (Ultraschalluntersuchung)
Die Sonographie ist eine schmerzlose und strahlungsfreie Untersuchung zur Feststellungeines Hodentumors und evtl. von Absiedelungen (=Metastasen). Hierbei kann neben der Darstellung des Tumors im Hoden selbst prinzipiell auch eine Ausbreitung des Tumors in andere Organe (=Metastasen) z. B. in der Leber, festgestellt werden

Computertomographie (CT)
Die Computertomographie ist eine spezielle Röntgenuntersuchung (mit Kontrastmittelgabe), die den Körper Schicht für Schicht durchleuchtet und dadurch den genauen Sitz und die Größe von möglicherweise vorhandenen Absiedelungen im Bauch-​ oder Brustraum darstellen kann. Sehr kleine Metastasen können jedoch nicht zuverlässig mit einer Computertomographie entdeckt werden, weshalb die Untersuchung häufig im Abstand von mehreren Monaten wiederholt wird.

Kernspintomographie (MRT=Magnetresonanztomographie)
Die MRT ist keine Röntgenuntersuchung, sondern beruht auf Magnetfeldwirkungen. Der Vorteil gegenüber einer CT-​Untersuchung besteht darin, dass die Untersuchung keine Strahlenbelastung hat. Nachteilig kann die sehr lange Untersuchungsdauer und die erschwerte Befundinterpretation, welche einen erfahrenen Radiologen erfordert, sein.

Skelettszintigraphie (Knochenszintigraphie)
Durch Gabe einer geringen Menge radioaktiver Substanz in die Blutbahn können Tumorabsiedlungen in den Knochen dargestellt werden. Eine Spezialkamera erkennt die im erkrankten Knochen radioaktiv angereicherten Bereiche. Es handelt sich hierbei um eine schonende Untersuchung, bei der die Strahlung rasch abklingt.

Gewebeprobe
Die Gewebeprobe ist nötig, um den Tumor klassifizieren (Tumorklassifikation) zu können, das heißt, den Grad der Bösartigkeit und Eigenschaften des Tumors zu erkennen, um dadurch eine gezielte Tumortherapie entwickeln zu können. Meist erfolgt im Rahmen der operativen Entfernung eines Hodens mit einem bösartigen Tumorbefall die Gewinnung von Gewebe. Selten ist eine Gewebegewinnung aus einer Hodenkarzinom-​Metastase mittels einer CT-​gestützten Biopsie aus dem Bauchraum oder mittels einer Spiegelung des Brustraums (Thorakoskopie) notwendig.

Klassifikation und Stadieneinteilung

Um die am besten geeignete Therapie bestimmen zu können, muss vor Therapiebeginn durch die beschriebene Diagnostik genau festgestellt werden, welchem feingeweblichen Subtyp (Gewebeart) das Hodenkarzinom entspricht, welchen Differenzierungsgrad (Grading) es hat und wie weit es sich bereits ausgebreitet hat (Staging). Mithilfe dieser drei Parameter kann das korrekte Tumorstadium ermittelt werden.

- Feingeweblicher Subtyp

Hodentumoren können in  "Seminome“und "Nichtseminome" unterteilt werden. Seminome bestehen ausschliesslich aus Seminomzellen, während Nicht-Seminoms aus einer einzelnen Tumorkomponente (wie z.B. Embryonalzellkarzinom, Teratom, Chorionkarzinom oder einem Dottersacktumor) oder aus einer Kombination aus verschiedenen Tumoranteilen bestehen können.  Die Therapie unterscheidet sich je nach Art des Tumorgewebes. 

- S- Serumtumormarker

SX      Werte der Serumtumormarker nicht verfügbar oder entsprechende Untersuchungen nicht vorgenommen.
S0      Serumtumormarker innerhalb der normalen Grenzen
S1-S3 Wenigstens einer der Serumtumormarker ist erhöht

Serumtumormarker

LDH

HCG [mlU/ml]

AFP [ng/ml]

S1

<1,5 N und

< 5000 und

< 1000

S2

1,5-10 N oder

5000-50000 oder

1000-10000

S3

>10 N oder

>50000 oder

>10000

(N = obere Grenze des Normwertes für LDH)

 

-TNM

Die Tumorausbreitung wird durch die TNM-Klassifikation festgelegt.

T steht für die Größe und Ausdehnung des Primärtumors, N steht für die Anzahl der befallenen regionären Lymphknoten und M steht für das Auftreten und die Lokalisation von Fernmetastasen (Tumorabsiedlungen).

TNM für Hodenkarzinome

pTis

Intratubuläre Keimzellneoplasie (Carcinoma in situ)

pT1

Tumor begrenzt auf die Hoden (eingeschlossenen Invasion des Rete testis), ohne Blut-/Lymphgefäßinvasion

pT2

Tumor begrenzt auf die Hoden (eingeschlossenen Invasion des Rete testis), mit Blut-/Lymphgefäßinvasion oder Tumor mit Invasion des hilären Weichgewebes, des Nebenhodens oder mit Penetration des Mesothels über der äußeren Oberfläche der Tunica albuginea mit Befall der Tunica vaginalis

pT3

Tumor infiltriert Samenstrang (mit/ohne  Blut-/Lymphgefäßinvasion)

pT4

Tumor infiltriert Skrotum (Blut-/Lymphgefäßinvasion)

 

 

N0/pN0

Keine regionären Lymphknotenmetastasen

N1

Metastasierung in Form eines Lymphknotenkonglomerats oder in (solitärem oder multiplen) Lymphknoten, jeweils nicht mehr als 2 cm in größter Ausdehnung

pN1

Metastasen in Form eines Lymphknotenkonglomerats, 2 cm oder weniger in größter Ausdehnung, oder 5 oder weniger positive Lymphknoten, keiner mehr als 2 cm in größter Ausdehnung

N2

Metastasierung in Form eines Lymphknotenkonglomerats oder in multiplen Lymphknoten, mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 5 cm in größter Ausdehnung

pN2

Metastasen in Form eines Lymphknotenkonglomerats, mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 5 cm in größter Ausdehnung, oder mehr als 5 positive Lymphknoten, keiner mehr als 5 cm in größter Ausdehnung, oder extranodale Tumorausbreitung

N3

Metastasierung in Form eines Lymphknotenkonglomerats, mehr als 5 cm in größter Ausdehnung

pN3

Metastasen in Form eines Lymphknotenkonglomerats, mehr als 5 cm in größter Ausdehnung

 

 

M1a

Nichtregionäre Lymphknoten oder Lungenmetastasen

M1b

Andere Fernmetastasen

TNM Klassifikation des Hodenkarzinoms nach UICC 2017

 

Stadium 0

pTis

N0

M0

S0, SX

Stadium I

pT1-4

N0

M0

SX

Stadium IA

pT1

N0

M0

S0

Stadium IB

pT2 - pT4

N0

M0

S0

Stadium IS

Jedes pT/TX

N0

M0

S1, S2, S3

Stadium II

Jedes pT/TX

N1, N2, N3

M0

SX

Stadium IIA

Jedes pT/TX

N1

M0

S0, S1

Stadium IIB

Jedes pT/TX

N2

M0

S0, S1

Stadium IIC

Jedes pT/TX

N3

M0

S0, S1

Stadium III

Jedes pT/TX

Jedes N

M1, M1a

SX

Stadium IIIA

Jedes pT/TX

Jedes N

M1, M1a

S0, S1

Stadium IIIB

Jedes pT/TX
Jedes pT/TX

N1, N2, N3
Jedes N

M0
M1, M1a

S2
S2

Stadium IIIC

Jedes pT/TX
Jedes pT/TX
Jedes pT/TX

N1, N2, N3
Jedes N
Jedes N

M0
M1, M1a
M1b

S3
S3
Jedes S

Behandlungsmöglichkeiten

Operation

Wenn aufgrund der oben beschriebenen Untersuchungen der dringende Verdacht auf Hodenkrebs besteht, muss eine operative Freilegung des Hodens über einen Schnitt in der Leistengegend erfolgen. Intraoperativ muss dann, evtl. auf der Basis einer durch den Pathologen durchgeführten Schnellschnittuntersuchung, die Entscheidung zur kompletten Entfernung des erkrankten Hodens (Orchiektomie) getroffen werden. Unabhängig vom Tumorstadium ist die Orchiektomie ist fast immer die Therapie der ersten Wahl. Gleichzeitig wird unter bestimmten Umständen zur Kontrolle eine Biopsie des zweiten Hodens vorgenommen. Bei ca. 95% der Männer ist nur ein Hoden befallen, hier übernimmt der verbliebene gesunde Hoden die Funktionen des entfernten Hodens. Aus diesem Grund entstehen durch die Operation der einseitigen Hodenentfernung so gut wie keine Nebenwirkungen.

Nach der operativen Entfernung des Hodens kann eine genaue histologische Einstufung des Tumors erfolgen und die weitere Therapie beschlossen werden.

Die Einteilung erfolgt in die histologischen Subtypen Seminome (50-60%) und Nichtseminome (40-50%).

Strahlentherapie - Chemotherapie

Die Strahlentherapie hat, wie auch die Chemotherapie, die Vernichtung der Krebszellen zum Ziel. Durch eine gezielte Strahlenkonzentration sollen die Krebszellen geschädigt, das gesunde Gewebe aber verschont werden.

Seminome

Bei Seminomen kann es im Falle des Vorliegens von Metastasen erforderlich sein, dass zusätzlich nach der Entfernung des Hodens eine Chemotherapie oder in Einzelfällen auch eine Bestrahlung durchgeführt werden sollte. Während bei kleineren  Lymphknotenabsiedelungen im Bauchraum eine Entscheidung zwischen einer Strahlen-​ und einer Chemotherapie getroffen werden muss, kommt bei größeren Lymphknotenabsiedelungen im Bauchraum fast nur eine Chemotherapie in Frage.. Eine Bestrahlung kann ambulant erfolgen und wird im Allgemeinen gut vertragen. Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall können durch entsprechende Medikamente gut kontrolliert werden. Die Spermienproduktion wird durch eine Bestrahlung fast immer nur vorübergehend beeinträchtigt. Eine Chemotherapie wird an unserer Klinik meist stationär erfolgen, dies hängt jedoch von der Art und Dauer der Chemotherapie ab. Die Nebenwirkungen der Chemotherapie hängen ebenfalls von der Art der Medikamente und ihrer Dosierung ab. Neben Übelkeit und Erbrechen können hier noch vorübergehend Haarausfall, Blutbildveränderungen und eine Anfälligkeit für Infektionen auftreten. Eine Beeinträchtigung der Spermienproduktion ist bei einer Chemotherapie ebenfalls meist nur vorübergehend.

Auch bei Fehlen von Metastasen bei der Diagnosestellung eines Seminoms kann im Anschluss an die operative Entfernung des Hodens eine einmalige Chemotherapie oder eine Strahlentherapie durchgeführt werden, wobei heutzutage meist eine sogenannte „Surveillance“-​Strategie, d.h. kontrolliertes Abwarten mit regelmäßigen Verlaufsuntersuchungen Anwendung findet.

Nichtseminome

Bei Nichtseminomen ist im Falle des Vorliegens von Metastasen meist eine aus mehreren Therapiezyklen bestehende Chemotherapie erforderlich. Eine primäre operative Entfernung des Lymphknotengewebes aus dem hinteren Bauchraum (=retroperitoneale Lymphadenektomie) wird heute fast nur noch dann durchgeführt, wenn in dem befallenen Lymphknoten Teratomgewebe vermutet wird, von dem bekannt ist, dass es resistent gegen eine Chemotherapie ist.  

Bei einem Nicht-​Seminom ohne Metastasen in der CT-​Diagnostik findet in Abhängigkeit des T-​Stadiums (pT1 vs. ≥pT2) eine Surveillance-​Strategie bzw. eine zusätzliche Chemotherapie (1 Zyklus) Anwendug.

Bei fortgeschrittenen Hodenkarzinomen ist häufig eine Kombination von Operation, Chemotherapie und gegebenenfalls Strahlentherapie notwendig.

Krankheitsverlauf (Rückfall, Metastasen)

Wenn sich trotz vorangegangener Operation, Strahlen-​ und/oder Chemotherapie ein Rezidiv (Wiederauftreten des Tumors) entwickelt, kann eine erneute Standardchemotherapie als auch eine Hochdosischemotherapie eingeleitet werden. Unter bestimmten Umständen kann ein Resttumor auch operativ entfernt werden.

Nachsorge und Rehabilitation

In der Nachsorge sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:

  • Die meisten Rezidive treten in den ersten zwei Jahren nach Therapieende auf. 
  • Spätrezidive können auch nach mehr als fünf Jahren auftreten, daher wird eine jährliche Nachsorge lebenslang empfohlen. 
  • Nach operativer Entfernung der Lymphknoten im Retroperitoneum sind Rezidive dort sehr selten. 
  • Die Computertomographie des Thorax ist der Röntgen-​Thorax-Untersuchung bei begründetem Rezidivverdacht vorzuziehen. 
  • Die Ergebnisse der Rezidivtherapie sind abhängig vom Tumorvolumen, daher ist eine Früherkennung anzustreben. 
  • Nach Chemotherapie und Radiotherapie besteht ein erhöhtes Risiko für therapiebedingte Zweitmalignome und das sogenannte metabolische Syndrom.

Leben mit Krebs

Tips zur besseren Bewältigung der Erkrankung erhalten Sie zum Beispiel auf Internetseiten wie http://www.hodenkrebs.de/ oder der Website der Deutschen Krebsgesellschaft (http://www.krebsgesellschaft.de).

Prognose

Mehr als 95% der Erkrankten können bei rechtzeitiger Diagnose und Therapie geheilt werden. Damit gehört der Hodenkrebs zu den Krebserkrankungen mit den besten Heilungschancen. Die Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens / Fortschreitens der Erkrankung hängt vom histologischen Typ, histopathologischen Risikofaktoren, dem Vorhandensein von Absiedelungen zum Zeitpunkt der Diagnose und der Höhe der Tumormarker ab.