Die Erkrankung:

Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen, die durch wiederholt auftretende epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. Ein epileptischer Anfall wird durch spontane und überschießende elektrische Entladungen von Nervenzellen im Gehirn verursacht, die Bewusstseinsstörungen, Muskelzuckungen oder Muskelanspannungen bis hin zu komplexen Handlungen hervorrufen können. Es gibt verschiedene Epilepsieformen mit unterschiedlichen Ursachen: zum einen sind sog. strukturelle/symptomatische fokale Epilepsien bekannt, die nach einer Gehirnschädigung auftreten (z.B. einer Hirnhautentzündung, einem Schlaganfall, einer Narbe, einem Tumor, einer Hippocampussklerose oder einer Hirnfehlbildung). Bei anderen Formen gibt es eine klare erbliche Komponente (idiopathische oder genetisch bedingte Epilepsien, fokal oder generalisiert). Die genetischen Ursachen sind jedoch bisher nur teilweise bekannt. Die Epilepsie ist meist eine gut behandelbare Erkrankung. Im Schnitt werden knapp  70% der Patienten unter der Gabe antiepileptischer Medikamente anfallsfrei.

Da epileptische Anfälle auch ein Symptom von fortschreitenden Erkrankungen des Gehirns sein können (z.B. von Hirntumoren), welche aus diesem Grund operiert werden sollten, sind nach dem erstmaligen Auftreten von epileptischen Anfällen sorgfältige Untersuchungen notwendig, um eine solche Erkrankung zu diagnostizieren und eine dementsprechende Behandlung einleiten zu können.

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PD Dr. med. Jan Wagner

Oberarzt

Der epileptologische Schwerpunkt hat in Ulm eine mehrjährige Tradition: Im Jahre 1994 wurde das Epilepsiezentrum Ulm als langfristige Kooperation klinischer und medizinisch-theoretischer Abteilungen der Universität Ulm gegründet. Durch diesen Forschungsschwerpunkt steht in Ulm ein spezialisiertes Diagnostik- und Behandlungsangebot zur Verfügung.

In der Epilepsieambulanz können pflichtversicherte Patienten auf Überweisung durch ihren Hausarzt oder Neurologen sowie privatversicherte Patienten mitbehandelt werden. Auf die folgenden Fragen wird ambulant eingegangen:

  • Einordnung des Epilepsiesyndroms
  • Einstellung der medikamentösen Epilepsietherapie
  • Diskussion weiterer Behandlungsmöglichkeiten, wie z.B. der Epilepsiechirurgie oder Stimulationsverfahren
  • Nachbesprechung ausführlicher stationärer oder weiterführender spezieller ambulanter Diagnostik
  • Schwangerschaftsberatung
  • Durchführung von Medikamentenstudien

Das stationäre Diagnostik- und Therapieangebot umfasst neben der Routine-EEG und der MRT-Diagnostik mit einem auf epileptologische Fragestellungen speziell abgestimmten Programm zusätzlich die Möglichkeit der 24h-EEG-Ableitung ohne zusätzliche Video-dokumentation (mobiles Langzeit-EEG) und das oben bereits angesprochene Video-EEG-Monitoring zur prächirurgischen Epilepsiediagnostik und zur differentialdiagnostischen Klärung unklarer anfallsartiger Ereignisse. Das differentialdiagnostische Programm wird zudem zur Abgrenzung kardiovaskulärer orthostatischer Dysregulationen durch die polygraphische Kipptischuntersuchung erweitert. Es besteht zudem eine enge Kooperation mit unserem Schlaflabor, so dass bei differentialdiagnostischen Abgrenzungen von nächtlichen epileptischen Anfällen zu Schlafstörungen zusätzlich eine voll ausgestatte Polysomnographie zur Verfügung steht. Ferner können Medikamentenumstellungen, die ambulant nicht durchgeführt werden können, im Rahmen eines stationären Aufenthaltes vorgenommen werden (Epilepsie-Komplexbehandlung).

Für die Aufnahme zu einem Video-EEG-Monitoring wenden Sie sich bitte direkt an die Video-EEG-Diagnostikeinheit. Frau S. Baur (Tel. 0731/177-1230, eMail: eeg.monitoring@rku.de)

 

Wird bei einer Epilepsie nach Behandlung mit zwei geeigneten Medikamenten in ausreichender Dosierung Anfallsfreiheit nicht erreicht, so sind die Chancen, durch den Einsatz weiterer Medikamente dauerhafte Anfallsfreiheit zu erreichen, relativ gering. In diesem Fall sollte geprüft werden, ob es eine chirurgische Möglichkeit der Behandlung gibt, die in vielen Fällen eine hohe Wahrscheinlichkeit auf Anfallsfreiheit bietet. Voraussetzung dafür ist, dass es sich um eine fokale Epilepsie handelt, bei der die Anfälle in einer umschriebenen Hirnregion entstehen, die operativ entfernt werden kann, ohne dass postoperativ neurologische Defizite entstehen. Sogenannte "generalisierte Epilepsien", bei denen schon zu Beginn des epileptischen Anfalles beide Großhirnhälften in das Anfallsgeschehen miteinbezogen sind, sind chirurgisch nicht kurativ behandelbar, d.h. Anfallsfreiheit kann durch einen epilepsiechirurgischen Eingriff nicht erreicht werden. Ob im Einzelfall eine operative Behandlungsmöglichkeit besteht, kann in der Regel nur nach weiteren Voruntersuchungen entschieden werden.

Zu den notwendigen "Basisuntersuchungen" gehören:

  • ein Video-EEG-Langzeitmonitoring
  • eine spezielle Kernspinuntersuchung des Gehirns, die umfangreicher ist als die üblicherweise durchgeführte Standarduntersuchung und die sich an der Epilepsieform orientieren muß
  • eine neuropsychologische Untersuchung

Abhängig von den bei diesen Untersuchungen gewonnenen Erkenntnissen können weitere Zusatzuntersuchungen notwendig werden, um zu einem Behandlungsvorschlag zu kommen (z.B. eine Positronenemissionstomographie = PET).

Ziel dieser präoperativen Diagnostik ist es, die Hirnregion zu identifizieren, von der die epileptischen Anfälle ausgehen (= ‚epileptogene Zone’) und zugleich die Risiken abzuschätzen, mit denen eine Operation verbunden wäre.

Wir bieten beim Vorliegen einer durch Medikamente nur unzureichend zu kontrollierenden Epilepsie in der Epilepsieambulanz allen Epilepsiepatienten mit einer fokalen Epilepsie eine prächirurgische Basisdiagnostik an. Dabei ist immer wieder zu betonen, dass die Entscheidung für diese aufwendigere Diagnostik nicht automatisch auch die Entscheidung für eine Operation ist. Erst wenn die Möglichkeiten mit den jeweiligen Erfolgsaussichten und Risiken einer operativen Behandlung abschätzbar werden, kann sich der einzelne Patient fundiert für oder gegen eine solche Behandlung entscheiden.

Im Epilepsiezentrum Ulm kann eine präoperative Diagnostik in der Neurologischen Klinik im RKU und eine Operation in der Neurochirurgischen Klinik des Bezirkskrankenhauses Günzburg durchgeführt werden. Beratungen zur Indikation einer präoperativen Diagnostik sind in der Epilepsieambulanz möglich.

Zur prächirurgischen Epilepsiediagnostik ist ein Video-EEG-Langzeitmonitoring notwendig, um den Zusammenhang zwischen den klinisch zu beobachtenden Anfällen und den Hirnströmen im EEG herzustellen und damit den Ursprungsort der Anfälle im Gehirn zu bestimmen.

Daneben ist eine Langzeituntersuchung häufig hilfreich, um zu entscheiden, ob es sich bei bestimmten Anfällen tatsächlich um eine Epilepsie handelt. Anfälle zu haben, mit oder ohne Bewusstseinsstörung oder anderen, verschiedenen Symptomen, bedeutet nicht immer, dass auch eine Epilepsie als Ursache vorliegt. Gelegentlich ist es schwierig, nach den berichteten Beobachtungen der Anfälle zu entscheiden, ob es sich um einen epileptischen oder um einen nicht-epileptischen Anfall handelt. Auch in solchen Fällen ist ein Video-EEG-Langzeitmonitoring zur Klärung sinnvoll.

Zu einer solchen Untersuchung ist eine stationäre Aufnahme notwendig. Es wird dann i.d.R. über mehrere Tage (max. bis zu 2 Wochen) eine kontinuierliche Videoaufzeichnung durchgeführt und gleichzeitig ein EEG abgeleitet. Dazu werden Elektroden mit einem speziellen Material (Kollodium) auf die Kopfhaut aufgeklebt. Die Elektroden werden nach Beendigung der Untersuchung (je nach Häufigkeit der Anfälle nach einem Zeitraum von bis zu 2 Wochen) wieder entfernt. Diese Untersuchung eröffnet die Möglichkeit, einerseits die einzelnen Anfallssymptome im Video genau zu analysieren und zugleich die begleitenden EEG-Veränderungen aufzuzeichnen. Darüber hinaus kann das EEG zwischen den Anfällen im Wachzustand und im Schlaf analysiert werden.

Bei vielen Epilepsieformen sind EEG-Veränderungen, die auf eine Epilepsie hindeuten, in einem sogenannten Routine-EEG relativ selten. Das normalerweise in der neurologischen Praxis abgeleitete EEG erfasst nur eine kurze Momentaufnahme des Wachzustandes und z.T. auch Phasen der Ermüdung. Ein nach sog. "Schlafentzug" abgeleitetes EEG erweitert die diagnostischen Möglichkeiten. Aber vielen Patienten gelingt es auch unter diesen Bedingungen nicht, einzuschlafen und tiefere Schlafstadien zu erreichen. In der Langzeituntersuchung werden auch die tiefen Schlafphasen erfasst, so dass eine genauere Aussage zu den EEG-Veränderungen zwischen den Anfällen gemacht werden kann.

Etwa 20-30% der Epilepsiepatienten sind trotz der vielen verfügbaren Medikamente nicht ausreichend behandelbar und viele Patienten sind zwar anfallsfrei, leiden jedoch unter Nebenwirkungen, wie z.B. chronischer Müdigkeit. Deshalb ist es wichtig, neue Medikamente zu finden, die noch effektiver in der Behandlung sind, unsere Therapiemöglichkeiten erweitern und mit weniger bzw. idealerweise gar keinen Nebenwirkungen einhergehen. In den vergangenen 10-15 Jahren haben sich die Behandlungsbedingungen durch Einführung neuer Antiepileptika bereits wesentlich verbessert, die v.a. weniger Nebenwirkungen hervorrufen als ältere Medikamente. Es besteht dennoch ein großer Bedarf, weitere neue Medikamente gegen Epilepsie einzuführen.

Für viele unserer Patienten ist es eine Chance, einen Behandlungsversuch mit einem neuen, d.h. in der klinischen Prüfung befindlichen Medikament durchzuführen, falls Anfallsfreiheit mit den zugelassenen Medikamenten bislang nicht erreicht werden konnte. Nach den internationalen Richtlinien werden solche Medikamentenstudien unter sorgfältiger Überwachung nach strengen Grundsätzen durchgeführt. Die Studien sind deshalb mit einigem Aufwand für die teilnehmenden Patienten verbunden. Dies ist jedoch sinnvoll und notwendig, da seltenere Nebenwirkungen von Medikamenten, mit denen erst einige Hundert Patienten behandelt wurden, nur zum Teil bekannt sind und kein Patient durch ein neues Medikament gefährdet werden soll. Die Studien werden durch die Zulassungsbehörden für neue Arzneimittel und durch Ethikkommissionen überwacht, um diese Risiken so klein wie möglich zu halten. Unser Zentrum nimmt regelmäßig an solchen Studien teil. Bei Interesse bitten wir um eine Vorstellung in unserer Epilepsieambulanz.

Die Abteilung für Epileptologie ist seit Frühjahr 2020 von der DGfE als allgemeines Epilepsiezentrum für Jugendliche und Erwachsene zertifiziert.