Arbeitsgruppe Trauma und Dissoziation

Leitung: PD Dr. med. Stefan Tschöke

 

Langanhaltender traumatischer Stress in der Kindheit ist ein bekannter Prädiktor für die Entwicklung einer psychischen Störung im späteren Lebensalter. Die Arbeitsgruppe Trauma und Dissoziation beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Zusammenhängen zwischen Typ II-Traumata in der Kindheit und den damit assoziierten psychopathologischen Phänomenen im Erwachsenenalter. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf psychotischem Erleben bei Traumafolgestörungen und der Borderline-Persönlichkeitsstörung in Abgrenzung oder Überschneidung mit psychotischem Erleben bei Schizophrenie-Spektrum Störungen.


Zur Behandlung der Symptome einer Traumafolgestörung hat sich eine trauma-fokussierte Psychotherapie als am wirkungsvollsten erwiesen. Da Vermeidung einerseits ein Symptom des Störungsbildes darstellt, anderseits eine Behandlung erschwert, stellt sich die Frage, wie eine trauma-fokussierte Psychotherapie gestaltet werden kann, um Abbrüche zu vermeiden. Aus diesem Grund beschäftigt sich ein Projekt mit der Frage, wie die Virtual-Reality Technik sinnvoll eingesetzt werden kann, um die Akzeptanz einer trauma-fokussierten Psychotherapie zu erhöhen.

 

Schwerpunkte:


•    Psychotisches Erleben bei Traumafolgestörungen und/oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung
•    Art der Traumatisierung in der Kindheit und psychopathologische Phänomene im Erwachsenenalter
•    Molekulargenetische Grundlagen der Dissoziation
•    Der Einfluss peritraumatischer Reaktionsmuster in der Kindheit auf die psychopathologischen Phänomene im Erwachsenenalter
•    Komplexe Traumafolgestörungen und Selbstbestimmungsfähigkeit
•    Dissoziation und anhaltende interpersonelle Gewalt
•    Trauma-orientierte Psychotherapie bei Patient:innen mit einer Traumafolgestörung/BPS in der psychiatrischen Regelversorgung
•    Virtual Reality in der Psychotherapie von komplexen Traumafolgestörungen

 

 

Laufende Projekte

Maren Schießl (Doktorandin), Leonhard Kratzer (Klinik für Psychotraumatologie, Klinik St. Irmingard GmbH, Prien am Chiemsee), Stefan Tschöke

Hintergrund:
An biologischen Abwehrreaktionen konnte in Säugetieren eine sympathisch und parasympathisch vermittelte Kaskade identifiziert werden, die aus Einfrieren, Flucht, Kampf, Starre, Sich-Ergeben oder Bewusstlos-Werden besteht. Taylor et al. 2000 ergänzten die Kaskade um Strategien, die vorwiegend Frauen zugeschrieben werden, um sich und ihre Kinder zu schützen. Diese beinhalten v.a. Strategien zur Beschwichtigung, den Aufbau sozialer Netzwerke und Förderung der Bindung.
Die klinische Relevanz der Überlebensstrategien konnte in einer Population von 180 Erwachsenen mit sexuellem Missbrauch in der Kindheit mittels einer latenten Klassenanalyse gezeigt werden. Der für die Studie von Katz et al. 2021 entwickelte Fragebogen in englischer Sprache ist der erste, der diese peritraumatischen Reaktionsmuster standardisiert erfasst, weswegen die aktuelle Studie zum Ziel hat, diesen Fragebogen in die deutsche Sprache zu übersetzen und zu validieren.
Forschungsfragestellung: Weist die deutsche Übersetzung des Fragebogens eine vergleichbare Validität der vorhandenen Teststruktur auf wie das englische Original?

Methode:
Es ist eine Online-Befragung von erwachsenen Personen, die in der Kindheit sexuell traumatisiert worden sind, geplant. Hierbei wird eine Studienpopulation von 300-400 Personen angestrebt. Die vorbeschriebene Vier-Faktorenstruktur soll durch eine konfirmatorische Faktorenanalyse (CFA) validiert werden. Um die Gesamtqualität und die Anpassung des hypothetischen Modells an die Daten zu untersuchen, werden folgende Fit-Indizes verwendet: Comparative Fit Index (CFI), Tucker-Lewis-Index (TLI) und Root Mean Square Error of Approximation  (RMSEA). Für CFI und TLI bedeuten Werte von mehr als 0,90 eine gute bis sehr gute Übereinstimmung zwischen dem Modell und den Daten. Ein RMSEA-Wert von <0,06 deutet ebenfalls auf eine gute Anpassung hin. Mit der Chi-Quadrat-Analyse wird die Signifikanz des Unterschieds zwischen dem Modell und den Daten berechnet: Ein nicht signifikanter Test deutet auf eine angemessene Modellanpassung hin.

Ethikvotum: Der Ethikantrag wurde eingereicht.

Geplante Schritte:
Im ersten Schritt werden die englischen Aussagen/ Fragen ins Deutsche übersetzt. Dabei entspricht das Vorgehen den in „Principles of Good Practice for the Translation and Cultural Adaptation Process for Patient-Reported Outcomes (PRO) Measures: Report of the ISPOR Task Force for Translation and Cultural Adaptation“ von Wild et al. 2005 aufgeführten zehn Schritten der Übersetzung und wird unter anderem rückübersetzt von jemandem, der Englisch als Muttersprache spricht. Anschließend soll die deutsche Version anhand einer Online-Stichprobe validiert werden. Die Präsentation des übersetzten Fragebogens und weiterer Referenzfragebögen erfolgt mittels der Survey-Software „SoSci Survey“. Zusätzlich werden Informationen zur eigenen Person, wie Geschlecht, Alter, Schulbildung, erfasst. Merkmale der Traumatisierung, wie Beginn und Dauer der Traumatisierung, werden ebenfalls abgefragt.


Vorläufige Ergebnisse: Es liegen noch keine Ergebnisse vor.

 

Stefan Tschöke, Hans Knoblauch, Tilman Steinert

Hintergrund:
Die Beurteilung der Einsichtsfähigkeit ist bei verschiedenen zivil- und strafrechtlichen Fragestellungen relevant. Eine Einschränkung der Einsichtsfähigkeit wird bei Störungen diskutiert, die die kognitiven Funktionen erheblich beeinträchtigen oder zu psychotisch bedingten Realitätsverkennungen führen können. Traditionell waren dies die endogenen und exogenen Störungen im triadischen System, für die eine organische Ätiologie bekannt war oder angenommen wurde. Dagegen wird bei psychogenen Störungen, wie den Traumafolgestörungen, primär von einem Erhalt der Einsichtsfähigkeit ausgegangen. Bei diesen Störungsbildern kann psychotisches Erleben ebenfalls vorliegen und mittlerweile liegt ausreichend Evidenz vor, dass sich das Stimmenhören bei dieser Klientel phänomenologisch nicht von Stimmenhören bei der Schizophrenie unterscheidet. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Positivsymptomatik traumatischer Genese und dissoziativer Natur ist.
Forschungsfragestellung: Inwieweit existiert Evidenz für eine dissoziativ bedingte Einschränkung der Einsichtsfähigkeit?

Methode: Narratives Review

Ergebnisse: 
Durch Fortschritte in der Psychotraumatologie existiert zunehmende Evidenz für eine biologische Grundlage von Dissoziation und für eine transdiagnostische dissoziative Positivsymptomatik, v.a. in Form von Halluzinationen und Wahn. Bei der forensisch-psychopathologischen Analyse der psychischen Funktionen sollte, unabhängig von der diagnostische Kategorisierung, eine dissoziative Positivsymptomatik als mögliche Ursache für eine Einschränkung der Einsichtsfähigkeit berücksichtigt werden.

 

Stefan Tschöke, Sylvain Moser (Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München), Hans Knoblauch, Abigail Powers Lott (Emory University, Atlanta), Bertram Müller-Myhsok (Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München)

Hintergrund:
Fortschritte im Bereich der Neurowissenschaften haben in den letzten Jahren das Wissen um biologische Prozesse bei der Dissoziation erweitert. So haben genetische Variationen und epigenetische Veränderungen, die an der physiologischen Stressantwort beteiligt sind, eine zentrale Bedeutung für das Verständnis von stressbedingten Störungsbildern erlangt. Eine Studie mit traumatisierten und nicht-traumatisierten Adoleszenten fand, dass die Entwicklung einer dissoziativen Psychopathologie u.a. mit dem Fehlen des CATT-Haplotyps des FKBP5-Gens assoziiert war. Des Weiteren scheinen genetische und epigenetische Faktoren für die Entwicklung des hyperarousal oder des dissoziativen Subtyps der PTBS maßgeblich zu sein. Weitere Untersuchungen zu Gen x Umwelt Interaktionen könnten dabei helfen, mehr Einsicht in die Pathophysiologie stressassoziierter dissoziativer Phänomene zu erlangen.
Forschungsfragestellung: Existieren Zusammenhänge zwischen traumatischem Stress in der Kindheit, Genvarianten, deren Methylierungsgrades und einer dissoziativen Psychopathologie im Erwachsenenalter?

Methode:
Es werden genetische, epigenetische und psychometrische Daten vom „Grady Trauma Project“, einer fortlaufenden Studie zu Risikofaktoren für eine PTBS in einer stark traumatisierten Population in Atlanta (gradytraumaproject.com), ausgewertet. Hierbei erfolgt eine genomweite Betrachtung, um Genloci und deren epigenetischen Veränderungen zu identifizieren, die mit dissoziativen Phänomenen assoziiert sind.

Ethikvotum:
Alle Studien wurden von der Ethikkommission der Emory University School of Medicine genehmigt.

Vorläufige Ergebnisse:
Ergebnisse einer Clusteranalyse zeigten, dass zwei Cluster unterschieden werden können. Ein Cluster war durch Symptome von Hyperarousal und ein Cluster durch dissoziative Phänomene charakterisiert. Die Auswertungen hinsichtlich möglicher Zusammenhänge mit genetischen und epigenetischen Charakteristika sind noch nicht abgeschlossen.